Bayreuth 1972


Durch meine Tätigkeit auf dem Gebiet der Elektronik und der Computertechnik hatte ich nun etwas gespart, sodaß unser Projekt, eine eigene Schallplattenfirma zu gründen, in greifbare Nähe gerückt war. Doch mit welchem Projekt sollte man anfangen? Ideal wäre ein völlig unbekanntes Werk eines sehr bekannten Komponisten. Meine Frau und ich dachten u. a. an Richard Wagner und dessen frühe Opern ("Die Hochzeit", "Die Feen" und "Das Liebesverbot"). Doch wie sollte so ein Riesenprojekt finanziert werden?

Im Frühjahr 1972 lasen wir in der Presse, daß das Internationale Jugend-Festspieltreffen Bayreuth e.V. im August Richard Wagners Oper "Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo" auf die Bühne bringen wollte. Da wir bereits im Besitz von Eintrittskarten für die Bayreuther Festspiele dieses Jahres hatten, war sofort der Entschluß gefaßt, nach unserer Ankunft in Bayreuth Kontakt mit dem Leiter des Internationalen Jugend-Festspieltreffens aufzunehmen. Und so geschah es auch.

Das Internationale Jugend-Festspieltreffen Bayreuth wurde damals von Herbert Barth, dem Chef des Pressebüros der Bayreuther Festspiele, geleitet. In der ersten Pause der Eröffnungsvorstelle fand ich mich also im Pressebüro ein und tastete mich vorsichtig an das Thema heran. Ich fand sofort offene Ohren, denn das Jugend-Festspieltreffen dachte ebenfalls an eine Schallplattenaufnahme, hatte aber bisher niemanden, der die Aufnahme machen würde und den Vertrieb der Schallplatten übernehmen würde. In den Pausen handelten wir einen Vertrag aus, der uns die Rechte an der Aufnahme garantierte. Das Jugend-Festspieltreffen würde die Reklame für die Schallplattenaufnahme besorgen, während wir die Aufgabe hatten, die Aufnahme in dem (damals marktbeherrschenden) Bielefelder Katalog eintragen zu lassen. An das Jugend-Festspieltreffen hätten wir pro verkaufter Schallplattenkassette einen bestimmten Betrag abzuführen.

Als die Aufführungen im Festspielhaus, für die wir Eintrittskarten hatten, vorbei waren, war auch der Vertrag über die "Liebesverbot"-Aufnahme perfekt. Inzwischen hatte ich mir auch die Räumlichkeit, in der das Ereignis stattfinden sollte (es handelte sich um die Stadthalle in Bayreuth) genau angesehen, kannte die Ausdehnungen und Proportionen und wußte, wo ungefähr die Mikrofone hängen mußten. Die Aufnahmebedingungen waren sehr günstig, da die Bayreuther Stadthalle über eine schallisolierte Aufnahmekabine mit Blick auf die Bühne verfügt. Doch gleichzeitig wurde mir klar, daß mindestens vier Mikrofone für die Aufnahme benötigt wurden. Und ich hatte nur zwei. Was nun?

Noch in Bayreuth machte ich erste Skizzen für ein geeignetes Mischpult. Ich benötigte - abgesehen von dem Mischpult-Gehäuse - vier Mikrofon-Vorverstärker, vier Mikrofonregler, einen Stereo-Summenregler, einen Stereo-Summen-Verstärker und die unbedingt notwendigen Austeuerungs-Instrumente. Für den Betrieb des Mischpultes war außerdem noch ein extrem brummarmes Netzteil nötig. Ich hatte nun vier Wochen Zeit bis zum Eintritt des Ernstfalles. Diese Zeit war ausgefüllt mit der Materialbeschaffung, dem Bau des Mischpultes und der Anfertigung der Mikrofon-Kabel.

Am Abend vor dem Generalpoben-Tag war das Mischpult fertig. Ich packte alles zusammen, schlief einige Stunden, und rief dann ein Taxi, das mich im Morgengrauen zu Bahnhof Zoo brachte. Im Zug schlief ich dann ein paar Stunden. Nach dem Umsteigen in Lichtenfels ging es weiter nach Bayreuth, und schließlich war ich mit meinem Gepäck per Taxi in der Stadthalle angelangt. Die Generalprobe war schon im Gange. Ich verzog mich in die Aufnahme-Kabine, legte mein umfangreiches Gepäck dort ab, packte Mikrofone und Kabel aus und kletterte dann in die oberen Eingeweide der Stadthalle.

Hinsichtlich der Mikrofon-Aufhängung hatte ich mich nur auf mein Gefühl verlassen könne, denn für Probeaufnahmen war keine Zeit mehr. Ich kroch auf der Saaldecke umher, um die richtigen Löcher für die Mikrofonkabel zu finden, und hoffte nur, daß ich mich bei der Beurteilung des nicht unproblematischen Raumes nicht verschätzt hatte. Als alles fertig war, die Mikrofon-Leitungen endlich an das Mischpult angeschlossen waren und ich meine Kopfhörer aufsetzen konnte, war das der spannendste Moment meines Lebens. Ich lauschte und glaubte, meinen Ohren nicht trauen zu können. Das, was ich hörte, klang besser als draußen im Saal! Ich probierte noch etwas hinsichtlich der Regler-Stellungen an meinem neugebauten Mischpult, machte eine kurze Probeaufnahme und beschloß dann meine Tätigkeit. Ich genoß dann in einer nahegelegenen Gaststätte das gute Bayreuther Bier und die guten Bayreuther Würschtla und verschlief beinahe den halben nächsten Tag.

Die Aufnahme der Aufführung am Abend verlief ohne Probleme. Zwar hätte ich - wie ich später feststellen mußte - einige Stellen mit höherem Pegel aufnehmen müssen, aber andererseits gab es der Aufnahme dafür keinerlei Übersteuerungen. Auch die zweite Aufführung - mit einer teilweise anderen Besetzung - verlief problemlos; alles kam gut an und wurde einwandfrei auf Band konserviert.

Die Rückfahrt nach Berlin war nun absolut streßfrei. Und als ich zu Hause angekommen war, hatte ich nur noch ein Bedürfnis: schlafen, schlafen, schlafen ...

Nun begann die Nacharbeit. Aus dem gesamten Tonband-Material mußte praktisch von jedem Takt die beste Version ermittelt werden, und diese besten Versionen mußten zu einem Ganzen gefügt werden. Damals gab es noch nicht die Möglichkeit des virtuellen elektronischen Schnittes wie heutzutage. Die Schnitte mußten mit einer (unmagnetischen) Messingschere durchgeführt werden. Und die Bandenden mußten so zusammengefügt und zusammengeklebt werden, daß es keine hörbare Stoßstelle gab.

Dann gab es noch ein künstlerisches Problem. In den beiden Aufführungen wurde die Partie der Isabella von zwei verschieden Sopranistinnen gesungen: von Elaine Watts und von Doris Soffel. Der Leiter des Jugend-Festspieltreffens, Herbert Barth, hatte die Vorstellung, daß in für einen Akt die Aufnahme mit Elaine Watts und für den anderen die mit Doris Soffel verwendet werden sollte. Das große Problem dabei war, daß beide Stimmen sehr unterschiedlich waren. Ich entschied mich dann, nur die Aufnahme mit Doris Soffel zu verwenden. Sozusagen als Trost wollte ich zusätzlich eine Aufnahme mit den Szenen, an denen Elaine Watts zu hören war, zusammenstellen.

Als alles fertig zusammengeklebt war, informierte ich den Dirigenten John Bell - damals am Theater Krefeld tätig - , der dann nach Berlin kam, um sich mein (oder sein) Werk anzuhören. Er hatte einen sehr positiven Eindruck. Doch an einer Stelle stutzte er. Irgendetwas kam ihm seltsam vor. Er ließ sich den betreffenden Takt mehrmals vorspielen und zählte mit. Es stimmte rhythmisch an einer Stelle nicht. Ein Takt hatte fünf Viertel anstelle der korrekten vier Viertel. Ich griff wieder zur Messingschere, ermittelte die optimalen Schnittstellen, schnitt dann zwei oder drei Zentimeter Band heraus, klebte die Bandenden dann wieder sauber aneinander und führte das Ergebnis vor. Nun hatte der Takt tatsächlich die vorgeschriebenen vier Viertel, und es war keine Stoßstelle zu hören. John Bell war zufrieden und ich war es auch.

Nun begann die nächste Arbeit: Gestaltung des Titelbildes und des Begleitheftes. Für das Titelbild gab es bereits einen Entwurf des Bühnenbilders Roland Aeschlimann. Dieser Entwurf zeigte ein gelbes Rechteck nach Art eines bundesdeutschen Ortsende-Schildes, auf dem als Ortsname "Das Liebesverbot" zu lesen war, wobei ein roter Strich diagonal über das Schild verlief. Nachdem ich die Musik, die einerseits vom Stil des französischen Komponisten Daniel Francois Auber beeinflußt ist, andererseits aber schon auf den "Tannhäuser" verweist (Rom-Erzählung), in- und auswendig kannte, fand ich den Aeschlimann-Entwurf völlig fehl am Platze. Ich wählte dann eine ziemlich dunkle Schwarz-Weiß-Aufnahme des Fotografen Siegfried Lauterwasser für das Titelbild und setzte den unumgänglichen Text dann in weißer Schrift ein. Natürlich hatte meine (hinterher als "konservativ" beschimpfte) Entscheidung einige Leuten nicht gefallen, aber ich bin auch heute noch davon überzeugt, daß meine Entscheidung richtig war.