Technische Erfahrungen

Die allerersten Anfänge meiner Beschäftigung mit technischen Dingen liegen sehr weit zurück. Es muß um 1939 gewesen sein, als ich neun Jahre alt war. Das war in Berlin-Halensee in der Eisenzahnstraße 21. Die Anschlußleitung für ein elektisches Bügeleisen war defekt und mußte repariert werden. Mein Vater besorgte sich einen neuen Netzstecker - als Ersatz für den alten verschmorten - , schnitt das etwas mitgenommene Ende dieses Netzkabels ab und mußte dann irgendetwas anderes machen. Das Kabel und der neue Stecker blieben liegen.

Die Sache interessierte mich. Das Netzkabel hatte drei Adern. Einer war schwarz, eine war grau (oder weiß) und eine war rot. Ich schraubte den neuen Stecker auf und entdeckte drei Anschlußmöglichkeiten, und zwar zwei an den Steckerstiften und eine an den Schutzkontakt-Streifen. Doch welche Ader mußte an welche Kontaktschraube angeschlossen werden? Ich kam auf die Idee, nachzusehen, wie die drei Adern im Gegenstück angeschlossen waren. Ich schraubte also das Gegenstück auf und sah, daß die rote Ader am Schutzkontakt angeschlossen war. Nun wußte ich genug. Ich klemmte also bei dem neuen Stecker die rote Ader genau so an den Schutzkontakt, während die schwarze und die weiße Ader an die beiden Steckkontakte gehörten. Als alles fertig war, schraubte ich den Stecker wieder zusammen und probierte mein Werk aus. Und tatsächlich: das Bügeleisen wurde warm. Ich legte alles an den alten Platz und wartete.

Als mein Vater wieder zurückkam, wollte er die Arbeit fortführen. Es war sehr erstaunt, daß die Arbeit bereits fertig war. Da er meine Neugier bemerkte, schöpfte er Verdacht, daß ich irgendetwas mit der Vollendung dieser Arbeit zu tun gehabt haben könnte. Er fragte mich, und ich antwortete wahrheitsgemäß, daß ich diese kleine Arbeit vollendet hatte. Mein Vater wurde sehr wütend auf mich und tobte; als er sich etwas beruhigte hatte, forderte ich ihn auf, doch einmal nachzusehen, ob ich alles richtig gemacht habe. Er schraubte dann den Stecker auf, fand keine Fehler, schraubte den Stecker wieder zu und steckte erst das eine Ende der Leitung in die Steckdose und dann das andere in den Bügeleisen-Anschluß. Und siehe: es knallte nichts und das Bügeleisen wurde tatsächlich warm.

Das war mein erstes Erfolgserlebnis auf dem Gebiet der Elektrotechnik.

 

Die nächste technische Herausforderung ergab sich vier Jahre später, im Jahre 1943, als unsere Schule - das "Altköllnische Gymnasium" - aus Berlin evakuiert war und sich in der (besetzten) Tschechoslowakei befand, und zwar in dem idyllischen Städtchen Bistritz am Pernstein in Mähren. Der Krieg rückte immer näher, und wir - die Schüler und Insassen dieses Internats - waren natürlich brennend interessiert an Informationen durch den Rundfunk. Doch wie sollten wir an solche Informationen herankommen? Da fügte es der Zufall, daß der Radioapparat unserer Lager-Krankenschwester seinen Geist aufgab. Ich bot mich an, nachzusehen, und entdeckte einen aufgeplatzten Elektrolyt-Kondensator. Da die Werte noch gut zu lesen waren, wußte ich, wie dem Defekt abzuhelfen war. Ich ging zu dem einzigen Elektriker und Rundfunk-Mechaniker des Städtchens - natürlich ein Tscheche - , redete mit ihm ein Weilchen und bekam dann einen passenden Kondensator geschenkt. Dann nahm ich mir den Radioapparat vor, schnitt mit einem Seitenschneider die Anschlußdrähte des defekten Kondensators ab, und dann verdrillte ich die Anschlußdrähte des neuen Kondensators mit den abgeschnittenen Enden des alten Bauteils. Und siehe: der Radioapparat funktionierte wieder.

Die Lager-Krankenschwester - eine Frau Klement aus Plauen im Vogtland - war überglücklich, daß sie wieder Radio hören konnte, und sie wollte sich irgendwie erkenntlich zeigen. Als Honorar forderte ich dann ihre Zustimmung dafür, daß ich von ihrem Radioapparat eine Leitung in unseren Schlafsaal legen durfte, damit ich mithören konnte. Die Zustimmung erhielt ich sofort; ich brachte die entsprechenden Anschlußbuchsen an dem Radioapparat an - und noch am selben Tag waren wir mit der großen weiten (Radio-)Welt per Kopfhörer verbunden. Einige Klassenkameraden besorgten sich ebenfalls Kopfhörer, und so erfuhren wir, wie die Kriegssituation tatsächlich war.

Einige Wochen ging das gut. Doch in jeder gesellschaftlichen Gruppierung - vor allem in Schulklassen - gibt es Individuen, deren gößte Stärke das "Petzen" war. Unsere Informationsquelle blieb also nicht geheim. Die Mitschüler der nächsthöheren Klasse - durchweg Jungen des Jahrganges 1929 - , unter deren Fenster die Leitung zu unserem Schlafssal vorbeiging, zapften die Leitung an und schlossen ebenfalls eine Reihe von Kopfhörern an. Dadurch brach die Spannung auf der Leitung zusammen und die Besitzerin des Radioapparates konnte ebenfalls kaum noch etwas hören. Die Situation wurde kritisch, da die Besitzerin nun die zu uns führende Leitung abklemmen wollte.

Da kam mir die rettende Idee. Ich besorgte mir von dem (tschechischen) Elektriker des Städtchens zwei Lautsprecher-Übertrager. Einen der beiden Übertrager baute ich in den Radioapparat der Krankenschwester ein, und zwar so, daß die Leitung zu unserem Schlafsaal an die niederohnige Seite kam. Am anderen Ende der Leitung wurde der zweite Übertrager angeschlossen, und zwar ebenfalls an der niederohmigen Seite. Unsere Kopfhörer wurden mit der hochohmigen Seite des zweiten Übertragers verbunden - und die Übertragung war gesichert, da die uns zur Verfügung stehende Spannung nur etwas niedriger als die Originalspannung war. Die Schmarotzer der benachbarten höheren Klasse bekamen dahingegen nur noch einen winzigen Bruchteil der Original-Tonspannung an ihre Kopfhörer und konnten praktisch nichts mehr verstehen.

Dann kamen die arroganten älteren Mitschüler zu mir und wollten wissen, was ich gemacht hätte, damit sie nicht mehr mithören konnten. Als ich mich in Schweigen hüllte, begann das große Petzen und Denunzieren. Die nette Krankenschwester bekam eine schwere Rüge und mußte in einen anderen - weit entfernten Raum - umziehen; die Mithör-Leitung wurde auf Anordnung der Schulleitung abgerissen, und das Verhältnis zur Nachbarklasse war irreparabel gestört.

 

Über meine nächste technische Aktivität habe ich bereits in dem Kapitel "Nachkriegszeit" berichtet (ich hatte in der Andreas-Oberschule im Jahre 1945 einen pädagogisch absolut unbegabten Lehrer, der mich ungerecht behandelt hatte, durch einige technische Spielchen soweit gebracht, daß er an seinem eigenen Verstand zweifelte und laut weinend den Klassenraum verließ).

 

Dann war für mich der Kontakt mit Adolf Schure, dem späteren Ehemann einer Cousine meiner Mutter (Erna Dames geb. Hübner; über sie habe ich bereits in dem Abschnitt "In Pommern" berichtet) sehr wichtig. Adolf Schure war Ingenieur bei TELEFUNKEN. Er sah damals etwa so aus wie heute sein Neffe Hugo Egon Balder, der ja im Fernsehen (RTL) oft in Comedy-Sendungen zu sehen ist. Adolf Schure besaß eine riesige Bibliothek mit vielen Bänden technischer Zeitschriften. Damals wurde mir der Name Manfred von Ardenne aus vielen Artikeln und Aufsätzen sehr geläufig. Ich verschlang geradezu diese Literatur und war bald auf allen Gebieten der Funk- und Nachrichtentechnik zumindest theoretisch nahezu perfekt. Adolf Schure vermittelte mir auch Kunden, die "unreparierbare" Radioapparate besaßen. Ich schaffte es jetzt, innerhalb kurzer Zeit jeden Radioapparat wieder zum Spielen zu bringen, da ich die theoretischen Grundlagen beherrschte und sofort wußte, an welcher Stelle ich die Fehlersuche beginnen mußte.

 

 

 

 

 

Das war noch vor 1949. In der Habelschwerdter Allee gabe es einen von den Amerikanern finanzierten Jugendclub mit dem Namen GYA - German Youth Activities - . Vorsitzender war ein US-Sergeant, der sich wohl ausschließlich von Kaumgummis ernährte. Er konnte so gut wie kein Wort Deutsch, aber das störte die Verständigung nicht. Fast die ganze Klasse der Rheingau-Oberschule traf sich dort.

Es gab aber noch andere Mitglieder. Unter denen war ein gewisser Wolfgang Bogen. Und der beschäftigte sich mit dem Bau von Tonband-Geräten. Es gab bisher nur einen einzigen Hersteller, nämlich die AEG, die ihr Produkt "Magnetophon" nannte. Die gröberen Teile wie Motoren, Umlenk- und Führungsrollen, die Steuerung für die Motoren sowie die benötigten Verstärker für Aufnahme und Wiedergabe und andere derartige Teile oder Baugruppen konnte man prinzipiell ohne weiteres nachbauen. Die einzigen Teile, für die die AEG ein Monopol hatte, waren die Tonköpfe (Aufnahmekopf, Wiedergabekopf und Löschkopf). Für diese Teile wurden hochpermeable dünne Bleche benötigt, die entsprechend gestanzt und nach der mechanischen Bearbeitung geglüht werden mußten.

Das erste selbstgebaute Gerät (mit AEG-Tonköpfen) lief schließlich einwandfrei. Ich schlug vor, das Gerät "Bogenophon" zu nennen. Wolfgang Bogen überließ es mir für ein paar Wochen, um es zu testen. Natürlich war ich neugierig, wie die Teile - insbesondere die geheimnisvollen Tonköpfe - aufgebaut waren, nahm alles auseinander und baute es wieder zusammen. Natürlich war ich nicht in der Lage, alles wieder genau so zu justieren, wie es vorher war. Der Erbauer des Gerätes merkte das natürlich, wurde entsetzlich wütend und zog mit seinem Gerät von dannen.

Doch meine unangebrachte Neugier hatte äußerst fruchtbare Folgen, denn Wolfgang Bogen, der zwei oder drei Jahre älter war als ich, hatte nun die verwegene Idee, selber Tonköpfe zu bauen. Er besorgte sich die geeigneten hochpermeablen Bleche, eine Stanze, ließ sich ein Stanzwerkzeug schleifen und besorgte sich einen kleinen Glühofen. Auch die Spulenkörper fertigte er selbst. Dann wurden die ersten Bleche gestanzt, geglüht, zusammengeklebt und geschliffen. Dann wurden die Blechpakete in die Spulenkörper gesteckt, der Spalt wurde justiert und alles wurde zusammengeschraubt. Und es funktionierte. Das war der Anfang. Die Firma "Wolfgang Bogen GmbH." wuchs und gedieh. Bald folgte der Umzug in ein eigenes kleines Fabrikgebäude an der Potsdamer Chaussee in Berlin-Zehlendorf. Dem ersten Gebäude folgte ein zweites, wesentlich größeres. Es steht noch heute.

Durch diese Bekanntschaft mit Wolfgang Bogen hatte ich Erfahrungen mit dem Bau und der Reparatur von Tonbandmaschinen gewonnen. In der Folgezeit bekam ich dann nicht nur Aufträge für Radio-Reparaturen, sondern auch für Reparaturen an Tonband-Geräten.

Wird demnächst fortgesetzt